Über Bord

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Wenn es stimmt, dass jede Gesellschaft ein Organismus ist, den auch nur die biologische Maxime seine DNA zu erhalten antreibt, dann ist der Mensch nicht mehr als Zellmaterial, das in ein paar Leistungsträger und jede Menge austauschbares Humankapital aufgeteilt wird. Das Humankapital hat dann in etwa dieselbe Funktion, wie die Sandsäcke am Korb eines Heißluftballons: Es kann abgeworfen werden, falls die Ballongesellschaft am Berggipfel zu enden droht.

Unter dieser Prämisse erscheint es mir sinnvoll, mich fallen zu lassen, bevor ich fallen gelassen werde, und zu sehen, ob die Schwerkraft vielleicht nur eine Geschichte (35.) ist, und ich nicht falle, sondern schwebe.

Dann ist die reine Stille der absolute Krach

Im Frühsommer 2012 habe ich mich in meinem Ducato-Camper (BJ 1986) auf den Weg nach Marokko gemacht. Knapp 3700 Kilometer, mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 80 Kilometern in der Stunde, bei einem Lärmpegel wie auf Startbahn 1 in London-Heathrow. Bis Madrid hielt mich ein junger Mitfahrer mit Geschichten aus seinem gebrochenen Herzen bei Laune. Keine davon war besonders überraschend, aber er trug sie so leidenschaftlich vor, dass ich ihm gerne zuhörte. Am vierten Tag der Reise wollte ich bis Algeciras kommen, um von dort am Morgen die erste Fähre nach Tanger zu nehmen. Ich kam in Madrid erst spät los und steckte zweieinhalb Stunden im Transitstau fest. Die flimmernde Hitze, die sich allmählich über der iberischen Halbinsel breitmachte, setzte mir zu. Als der Abend dämmerte hatte ich noch gut 200 km vor mir. Ich konnte die Augen kaum noch offen halten. Ich hatte Kopfschmerzen vom Knattern des Dieselmotors und vom Poltern des Fahrtwinds. Ich beschloss, den Feind mit seinen eigenen Waffen zu schlagen.

Über Aufmerksamkeitsökonomie – Bitte sag, dass du mich magst …

«Magst du mich? Bitte sag, dass du mich magst.» Und wie wir alle wissen, gehen 99 % aller zwischenmenschlichen Manipulationsanstrenungen und Anmach-Verrenkungen darauf zurück, dass Aussagen wie diese fast schon als obszön gelten. Tatsächlich gehören solche direkten, gewissermaßen nackten Fragen zu den letzten echten zwischenmenschlichen Tabus, die wir haben. Sie wirken so jämmerlich und verzweifelt.

… schrieb David Foster Wallace in seiner Erzählung “Oktett” aus dem Band “Kurze Interviews mit fiesen Männern” (1999). Wahrscheinlich hat diese Aussage zur Zeit ihrer Veröffentlichung den Nagel auf den Kopf getroffen. Aber mittlerweile hat Facebook diese “zwischenmenschlichen Tabus” mit Hilfe seines “Gefällt-mir-Buttons” eben mal so standardisiert.